Nationaldienst an die Schulbank: Die Schweiz fördert in Eritrea die Berufsbildung
Bei unserem Besuch im Oktober sind sechs Berufsschullehrer aus der Schweiz anwesend. Sie versuchen, ihren eritreischen Kollegen Inputs für eine zeitgemässe Didaktik zu vermitteln, die weniger lehrerzentriert und mehr handlungsorientiert ist. Man spürt, dass die eritreischen Fachkräfte kaum etwas anderes kennen als Frontalunterricht, bei dem der Lehrer Theorien vorträgt, die die Schüler dann auswendig lernen müssen. Alles andere scheint für sie nicht ganz seriös zu sein.
Gefragte Kühltechnik
Am Vormittag arbeiten die Schweizer mit den eritreischen Lehrern; am Nachmittag um vier, wenn es nicht mehr ganz so heiss ist, beginnen die einheimischen Ausbildner den Unterricht mit den Schülern. Am meisten Zuspruch geniesst offenkundig der Lehrgang Kühltechnik. Das erstaunt wenig bei vierzig Grad im Schatten. Sehr beliebt ist auch Informatik, wobei bemerkenswert ist, dass siebzig Prozent der Interessierten junge Frauen sind. Die Elektriker arbeiten an diesem Tag am Thema Widerstand.
Die meisten Teilnehmer der siebenmonatigen Ausbildung, die jetzt eben erst begonnen hat, haben bisher schon gearbeitet, aber nicht unbedingt auf dem Beruf, in dem sie hier trainiert werden. Da sind zum Beispiel der 28-jährige Mahmud und der 23-jährige Jonas. Sie arbeiteten vorher beide in einem Büro und hatten beruflich noch nie mit Elektrik zu tun. Aber sie sagen beide, dass ihnen das Training gut gefalle und sie später gerne auf diesem Beruf arbeiten würden. Sie leben noch zu Hause in Massawa, im Gegensatz zu ihren Mitstudierenden Gabriel und Soryana. Die beiden 22-Jährigen sind Auswärtige, sie wohnen im Wohnheim gleich neben dem Ausbildungszentrum.
Bemerkenswert ist, dass alle vier noch im Nationaldienst sind, der im Zusammenhang mit Eritrea so viel zu reden gibt. Ursprünglich war er auf 18 Monate beschränkt, de facto ist er jedoch unbefristet. Daran hat bis jetzt auch der Friedensschluss mit Äthiopien vom letzten Jahr nichts geändert. Nicht selten trifft man Vierzig- oder Fünfzigjährige, die immer noch nicht entlassen wurden. Für das diktatorische Regime von Isaias Afewerki ist der Nationaldienst wohl vor allem, unabhängig von der Bedrohung durch aussen, ein Kontrollinstrument nach innen, um die eigene Bevölkerung am kurzen Zügel zu halten.
Schweizer Modell als Vorbild
Das Ausbildungszentrum wird von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) unterstützt. Auch dies ist ein Novum. Denn 2006 hatte sich der Bund nach unüberwindlichen Schwierigkeiten mit der Regierung aus dem abgeschotteten Land am Horn von Afrika zurückgezogen. Aber dann wuchs der innenpolitische Druck in der Schweiz. Um die Rücknahme von abgewiesenen Asylbewerbern zu erleichtern, brauche es zunächst bessere Beziehungen zur Regierung, lautete die Überlegung.
Eritrea ist der wichtigste Herkunftsstaat von Asylsuchenden in der Schweiz. Der Bund hat die Asylpraxis für Eritreer in mehreren Schritten verschärft. Unter anderem gilt die Rückkehr nicht mehr in jedem Fall als unzumutbar. Im laufenden Jahr lehnten die Behörden bis Ende September 428 Asylgesuche von Eritreern ab. Zudem überprüft der Bund den Status von rund 3000 Eritreern, die vorläufig aufgenommen worden sind. Von den 14 Personen, denen das Staatssekretariat für Migration (SEM) in einer Stichprobe die Aufenthaltsgenehmigung entzogen hat, ist bis anhin keine nach Eritrea zurückgekehrt. Asmara akzeptiert Ausschaffungen nicht. Freiwillig kehren nur wenige heim.
Entwicklungszusammenarbeit kann in solchen Fällen eine naheliegende Art sein, «einen Fuss drin zu haben». Also wagte die Deza 2017 mit dem MWTC einen neuerlichen Versuch in Eritrea und unterstützt das Berufsschulprojekt mit rund 1,4 Millionen Franken. Die Unterstützung der Deza wurde kürzlich verlängert – aber nur bis im Februar 2020. Nun müssen das Aussendepartement und der Bundesrat entscheiden, wie es mit dem Engagement in Eritrea weitergeht. Eine Evaluation, die Eduard Gnesa, der frühere Sonderbotschafter für Migration, erstellt hat, liegt auf Ignazio Cassis’ Tisch. Die Schweiz fördert in Eritrea seit 2017 für rund 4,3 Millionen Franken drei Projekte.
Das Ausbildungszentrum in Massawa wurde vom eritreischen Gewerkschaftsbund und vom Schweizerischen Unterstützungskomitee für Eritrea (Suke) initiiert. Dessen Gründer ist Toni Locher, der schweizerische Honorarkonsul für Eritrea. In der Schule in Massawa wurden bisher über 200 Lehrlinge in sechs Berufen ausgebildet: Elektriker, Elektroniker, Informatiker, Schreiner, Schlosser und Kühltechniker. Zu diesem Zweck reisen regelmässig Berufsschullehrer aus der Schweiz nach Massawa, um ihre eritreischen Lehrerkollegen zu unterstützen.
Das Modell orientiert sich am dualen Ausbildungsmodell der Schweiz. Bisher gab es in Eritrea nur die Alternative zwischen einer theorielastigen Ausbildung an der Universität, die kaum zur Berufsausübung befähigte, und einer praktischen, aber oft rudimentären, veralteten Lehre, meist im Betrieb eines Verwandten.
Nicht schlimmer als anderswo in Afrika?
Die Gruppe der Schweizer Lehrer wird geleitet von dem pensionierten Berufsschullehrer und Erwachsenenbildner Hans Furrer. Auch er ist Mitglied des Suke. Er hält den unbefristeten Nationaldienst ebenfalls für ein Unding, äussert sich im Übrigen jedoch positiv über die Situation in Eritrea. Punkto Menschenrechte sei die Situation auch nicht schlimmer als in anderen afrikanischen Ländern, etwa in Togo oder Ghana, meint er. In Ghana gibt es allerdings faire Wahlen und eine freie Presse. Nun ja, meint Furrer relativierend – «was nützt eine freie Presse ohne Ernährungssicherheit?». Die ist allerdings auch in Eritrea nicht gegeben. Kürzlich war der Lebensmittelmarkt in der Hauptstadt Asmara leer, weil sich die Bauern weigerten, zu den vom Staat diktierten tiefen Preisen zu verkaufen. Und im Oktober war im ganzen Land kein einheimisches Trinkwasser erhältlich.
Aber bei allem Optimismus nervt sich auch Furrer über die Einmischung des Bildungsministeriums in den Lehrplan des MWTC. So erwarte man zum Beispiel, dass der Unterricht der angehenden Elektriker mit dem Atom beginne. Für Furrer der sicherste Weg, um die in Theorie wenig beschlagenen Praktiker schon in der ersten Stunde zu entmutigen.
Das Ausbildungsprojekt in Massawa ist zweifellos eine gute Sache. Ähnliche Zentren in anderen Landesteilen sind geplant. Vielleicht kann die Berufsbildung junge Eritreer davon abhalten, den gefährlichen Weg nach Europa einzuschlagen; vielleicht kann das Zentrum auch Rückkehrwillige aufnehmen und ihnen eine Perspektive verschaffen. Ob dies ohne eine grundsätzliche politische Änderung in Eritrea realistisch ist und ob es überhaupt Sinn ergibt, in dem repressiven Land Entwicklungszusammenarbeit aufrechtzuerhalten, ist eine andere Frage.